NZZ - neue Zürcher Zeitung - aprile 2007

Mit Marmor die Zukunft gestalten

Ganz zuhinterst im Maggiatal liegt der einzige Steinbruch der Schweiz, in dem Marmor abgebaut wird - noch abgebaut wird, denn die ausländische Konkurrenz setzt dem Unternehmen in Peccia zu. Ob dem Marmorbruch eine Zukunft gesichert werden kann, ist ungewiss. sdl.

Peccia, im April

Während im Maggiatal, dem mit rund 570 Quadratkilometern grössten Tal des Kantons Tessin, über weite Strecken der Gneis allgegenwärtig ist, findet sich bei Peccia, ganz zuhinterst im Tal, Marmor. Der Stein kommt in Schattierungen von Weiss bis Hellgrau vor, und von seiner Qualität heisst es, sie sei jener des Marmors aus Carrara ebenbürtig. Zwar kommt Marmor in der Schweiz auch an anderen Orten vor, doch nur in Peccia wird er kommerziell abgebaut. Das geschieht bereits seit 1946, als das Dorf über eine befahrbare Strasse erreichbar wurde. Der Steinbruch gehört der Bürgergemeinde Peccia, ausgebeutet wird er vom Marmorwerk Cristallina SA. In einer Art Symbiose mit der Cristallina lebt die Bildhauerschule, die das Künstlerehepaar Alex Naef und Almute Grossmann-Naef 1984 gegenüber dem Werkgelände gegründet hat. Vom Steinbruch in Peccia stammt der Marmor, mit dem an der Bildhauerschule gearbeitet
wird oder aus dem durchreisende Künstler ihre Skulpturen gestalten.

Ungenügender Absatz

Nun kann natürlich das Marmorwerk nicht allein vom Stein leben, den das Bildhauer-Ehepaar hier einkauft, doch andere Kunden sind über die Jahre rar geworden. Markus Wüst, der Besitzer der Cristallina, erklärt, dass er pro Jahr mindestens etwa 300 Kubikmeter Marmor absetzen müsste, um einigermassen rentabel arbeiten zu können.

In den letzten Jahren waren es im Durchschnitt lediglich um die 200 Kubikmeter jährlich, und seit drei Jahren entwickelte sich der Absatz in einer Weise, dass die Arbeit im Steinbruch eingestellt werden müsste und Kunden mit Material aus dem rund 2000 Qubikmeter grossen Lagerbestand beliefert wurden. Die Probleme, mit denen das Marmorwerk in Peccia zu kämpfen hat, sind dieselben, mit denen die ändern Steinproduzenten in unserem Lande konfrontiert werden: Die Preise sind im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz, vor allem der aus China, viel zu hoch.

Einen kleinen Lichtblick gibt es nun aber für den Marmor aus Peccia. Dank einem Auftrag für die Auskleidung von zwei Innenhöfen des ETHGebäudes in Zürich mit einer Gesamtfläche von 1500 Quadratmetern muss zum ersten Mal seit drei Jahren wiederum Marmor im Steinbruch abgebaut werden. Mit den Arbeiten hat Wüst ein Spezialunternehmen aus Italien beauftragt, das mit Maschinen und Personal anreist, den Auftrag ausführt und dann wieder abzieht. Anders lässt sich nicht arbeiten, denn die Millionen, die in die
Modernisierung der Abbau- und Verarbeitungsanlagen investiert werden müssten, lohnen sich wegen des unsichern Auftragseingangs nicht.

Die Arbeit eines Wirtschaftsstudenten

Angesichts der schwierigen Verhältnisse für den Steinbruch in Peccia hat die Bürgergemeinde eine Studie in Aultrag gegeben, um herauszufinden, ob der Marmorabbau in diesem entlegenen Randgebiet überhaupt eine Zukunft haben kann. Ans Werk machte sich unter der Aufsicht von Rico Maggi vom Istituto Ricerche Economiche (IRE) der Università della Svizzera Italiana im Rahmen einer Semesterarbeit der Wirtschaftsstudent Angelo Geninazzi. Laut dieser Untersuchung gelangen durch das Marmorwerk und die Bildhauerschule jährlich um die 1,5 Millionen Franken in den Wirtschaftskreislauf. Vor 15 Jahren waren es noch fast dreimal so viel. Damals arbeiteten in Peccia auch noch 34 Personen, während es heute bloss noch 7 sind. Diese verfügen

über eine Lohnsumme von etwas über 300000 Franken, von denen sie Steuern entrichten und womit sie dazu beitragen, die Wirtschaft des Tales einigermassen in Schwung zu halten.

Ausbaupläne für die Bildhauerschule

Weder Markus Wüst noch das Ehepaar Naef verlangen, dass der Staat Überlebenshilfe leistet, indem er ihnen direkt unter die Arme greift. Sie erwarten indessen, dass zumindest bei öffentlichen Bauausschreibungen in Zukunft vermehrt einheimisches Steinmaterial zum Zuge kommt. Wüst erwähnt in diesem Zusammenhang beispielsweise die Möglichkeit, dass der Kanton für die Schotterunterlage im Strassenbau Marmorabfall beziehen und dafür anständige Preise entrichten könnte. Die erwähnte Semesterarbeit bringt an den Tag, wie viel in den letzten Jahren an wirtschaftlicher Substanz verlorenging und wie viel mehr noch verlorengehen könnte, wenn der Abbau von Marmor bei Peccia wegen mangelnder Nachfrage vollständig eingestellt werden müsste.

Nicht ans Aufhören denkt allerdings das Ehepaar Naef, ganz im Gegenteil tragen sich die beiden mit Ausbauplänen für ihre Bildhauerschule. Sie wollen auf einem Stück Land beim Dorfeingang ein internationales Bildhauerzentrum errichten, in dem Künstler aus aller Welt dank Stipendien Werkaufenthalte absolvieren sollen. Laut den beiden Naef steht das Konzept fest; sie wollen die Öffentlichkeit demnächst darüber informieren, wie es nun weitergehen soll. Mit einem solchen Zentrum könnte auch etwa dafür gesorgt
werden, dass der Ruf des Marmors aus Peccia in die Welt hinausgetragen wird.

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